02.03.2023

Was, wenn der Alltag meine Kreativität frisst?

Start-ups und junge Unternehmen treten an, weil sie eine Idee haben. Weil sie eine Lücke am Markt entdeckt haben, die sie füllen können. Doch irgendwann erobert der unternehmerische Alltag schleichend mehr Raum – und beginnt den Kampf mit der Lust an der Veränderung. Er darf ihn nicht gewinnen. Doch wie?

Alle haben schon mal in ihrer Vergangenheit einen neuen Job begonnen. Hochmotiviert. Doch nach ein paar Wochen merkt man, die Strukturen passen nicht so ganz zu den sprudelnden Ideen. Es kommen erste Rückschläge. Nervige Aufgaben. Im schlimmsten Fall zieht ein Gefühl der Gleichgültigkeit ein. Dienst nach Vorschrift. Das pure Erledigen von Aufgaben.

Wenn das Gründerleben grau wird

Auch Gründerinnen und Gründer werden schnell von einem Alltag eingeholt. Der Start ist hoch motiviert. Oftmals davon getrieben, etwas verändern zu wollen. Eine Innovationslücke am Markt zu schließen. Oder getrieben von der Lust, ein großer Unternehmer zu werden.

Doch natürlich kommen auch Hürden. In Deutschland ein Unternehmen zu gründen ist immer noch zu schwierig. Oftmals höre ich den Satz, dass diejenigen, die die Gründung hinter sich haben, schon viel geleistet haben. Dass viele auf dem Weg zum Unternehmen die Lust verlieren. Wie schade. Ich möchte mir nicht ausrechnen, wie viel großartige Ideen an Formularen der Bürokratie scheitern.

Der Alltag erhält zu viel Bühnenpräsenz

Wir sollten dringend den Start junger Unternehmen erleichtern. Das heißt natürlich nicht, dass damit alle Probleme gelöst wären. Im unternehmerischen Alltag kommen immer wieder Situationen auf einen zu, die viel Raum einnehmen. Oder anders gesagt: Anderen Aspekten unserer Tätigkeit Raum stehlen. Recruiting-Herausforderungen, Rechtliches, fehlende Formulare oder zu viele Formulare.

Wir sehen das, wenn wir in unsere Kalender blicken: Schauen wir doch mal gemeinsam nach, wie hoch der Anteil administrativer Termine in unserer Arbeitswoche ist. Termine, die wir „abarbeiten“. Die wir ohne Herzblut angehen. Die Antwort: wahrscheinlich zu viele.

Denn neben dem Raum in unseren Kalendern rauben diese Tätigkeiten auch kognitive Kapazitäten.

Also die Lösung: Der Kreativität mehr Raum geben. Das kennt man. Viele machen dies durch einen Perspektivwechsel. Andere durch ein Kreativmeeting, jeden Mittwoch zwischen 11:00 Uhr und 12:00 Uhr in Raum B2. Eine Stunde, an der sie sich mal richtig Zeit nehmen, kreativ und offen zu sein. Auch ich habe in meiner Vergangenheit versucht geklappt hat das selten. Entweder eroberte die Pflicht ihren Raum wieder zurück. Oder die Kreativität hatte keine Lust, in dem ihr erlaubten Zeitfenster zu erscheinen.

Wie schaffen wir es, im Alltag kreativer zu agieren?

Ich empfehle die Lektüre von The Creative Act: A Way of Being von Rick Rubin. Im englischsprachigen Raum ein Bestseller. Rick Rubin ist der ehemalige Vizepräsident von Columbia Records. Ein Mensch, der in seinem Leben mit zahlreichen großartigen Künstlerinnen und Künstlern zusammengearbeitet hat.

Rubin beschreibt die Liebe zu Musik und zur Begegnung, gespickt mit ein paar spannenden Gedanken zur Kreativität. Manches klingt bekannt: Kritik zulassen, bei mangelnder Kreativität einfach mal eine Gedankenpause machen. Detaillierte Notizen im kollaborativen Prozess erleichtern die Zusammenarbeit. Das sind natürlich gute und wertvolle Tipps, aber es ist vor allem ein Gedanke aus dem Buch, der mich motiviert, auch in herausfordernden Zeiten Kreativität zulassen: Rubin erzählt die Geschichte des Malers Yves Klein ließ nur eine Farbe auf seiner Palette zu. Eine strenge Limitierung also. Doch dadurch lernte er mit dieser Limitation umzugehen und entdeckte eine neue Art des Blaus. Ein Blau, das in Folge als das Klein-Blau in die Kunstgeschichte eingeht.

Mit neuen Situationen kreativ umgehen

Um Kreativität zu fördern, muss sich also manchmal selbst limitieren – und damit fokussieren. Eine Sichtweise, die natürlich nicht nur für Gründer:innen anwendbar ist. Alle, die in ihrem Arbeitsalltag kreativ mit Aufgaben umgehen müssen, könnte dieses Gedankenspiel helfen: Limitationen sind da. Als Gründer sind es die angesprochenen Formulare, also Hindernisse, die entstehen. Der graue Alltag, der einen einholt. Warum also binde ich diesen nicht aktiv in meinen kreativen Prozess ein?

Rubin spricht in seinem Buch von Constraints – also Hindernissen, Hemmnissen oder Engpässen. Constraints, wie sie uns allen im täglichen (Arbeits-)Leben vorkommen. Das können Hindernisse im Job sein. Hemmnisse, etwas Neues zu probieren. Oder Engpässe – an Zeit, Material oder eben Kreativität. Durch das Bild mit Yves Klein versucht er zu verdeutlichen, dass wir diese Limitierungen auch nutzen können, um etwas Besseres wachsen zu lassen.

Das funktioniert nicht immer – aber oft genug. Doch wir müssen ein wenig Kreativität in unserem Alltag zulassen. Bestimmte Situationen anders angehen und anders lösen. Das ist Mittel, um auch im Alltag den Drang der Veränderung nicht zu verlieren. Das ist nicht einfach. Doch es ist möglich!