27.04.2023
Nachhaltigkeit in der Immobilienwirtschaft: Der Druck im Kessel steigt
Schnelligkeit war in der Vergangenheit keine zentrale Eigenschaft der Immobilienbranche. Das ändert sich. Denn der Druck, nachhaltiger zu werden und aktiv Emissionen einzusparen, wächst. Bei einigen hinterlässt diese neue Geschwindigkeit Spuren. Die Ersten scheinen überfordert. Das muss nicht sein, denn wir haben viele Lösungen, die einen wichtigen Beitrag zu einer schnellen Dekarbonisierung leisten können.
Sagen wir es, wie es ist: Der Fall Viessmann hat die gesamte Gebäudebranche überrascht. Schließlich war es gerade dieses Unternehmen, dem Expertinnen und Experten eine lukrative Zukunft vorausgesagt hatten. Mit seinen Wärmepumpen schienen die Allendorfer auf einem guten Weg zu sein. Dass das Unternehmen nun in die USA verkauft wird, hat sicher viele Gründe. Aber was Max Viessmann selbst und viele Kommentatorinnen und Kommentatoren danach angedeutet haben, ist ein Signal: Es wäre unklar gewesen, ob das Unternehmen das hohe Tempo, das wir derzeit bei der Wärmewende erleben, hätte mitgehen können.
Viessmann ist ein prominentes Beispiel aus dem Mittelstand. Aber sicher kein Einzelfall. Das erlebe ich jeden Tag. Wir sind längst in einer Phase, in der nicht mehr nur gefördert, sondern auch gefordert wird. Bis zu bestimmten Stichtagen müssen Grenzwerte eingehalten, Maßnahmen umgesetzt werden. Sonst drohen Sanktionen.
In der Wohnungswirtschaft sind praktisch alle wesentlichen Nachhaltigkeitsthemen reguliert. Die Branche ist an Vorgaben gewöhnt. Dass nun aber der Faktor Zeit eine so große Rolle spielt, überfordert viele. Schließlich kennt die Branche Planungszeiträume eigentlich nur im Maßstab von Dekaden. Kapitalbeschaffung, Pilotprojekte, Studien – all das braucht Zeit. Zeit, die für bestimmte Maßnahmen nicht mehr zur Verfügung steht.
Trübe Stimmung, optimistischer Ausblick
Das klingt nach gedrückter Stimmung. Das ist sie auch, aber nur zum Teil. Kürzlich war ich zu Gast beim Forum Wohnungswirtschaft. Das ist ein Branchentreff, der sich speziell mit den Themen rund um die Bewirtschaftung, Verwaltung und Vermietung von Immobilien beschäftigt. Dort treffen sich führende Akteure und Innovatoren der Branche, um sich über Lösungen auszutauschen. Vorherrschendes Thema: Dekarbonisierung.
Spannende Entwicklung: Gerade aufgrund des Zeitdrucks ist der Gebäudebestand der Fokus der Branche, denn nur 1% aller Gebäude sind Neubauten, 99% Altbestand. Aber auch Neubauprojekte bleiben nicht verschont von neuen, strengeren und zeitlich drängenden Vorgaben der Politik. Denn die Projekte, sind zum Teil in langfristigen Planungsszenarien gefangen. Prominentestes Beispiel ist ausgerechnet ein Regierungsgebäude. Der Erweiterungsbau des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses in Berlin. Eigentlich sollte der Bau 2014 fertig sein. Wegen Schwierigkeiten auf der Baustelle wurde er immer wieder verschoben. Jetzt ist sogar 2024 unsicher. Ein Grund dafür ist, dass sich in der Zwischenzeit die staatlichen Vorgaben für Heizungs- und Brandschutzanlagen geändert haben. Nun müssen umweltfreundlichere Anlagen nachgerüstet werden.
Nicht bei allen Neubauten ist die Situation so extrem. Der große Hebel, um jetzt etwas zu ändern und schnell zu Ergebnissen zu kommen, liegt im Bestand. Er macht den überwiegenden Teil unserer Gebäude aus, er verursacht einen großen Teil unserer Emissionen. Wenn wir es schaffen, diesen großen Teil durch Nachrüstung zu modernisieren, können wir einen wichtigen Beitrag leisten, um die Nachhaltigkeitsziele schneller zu erreichen. Auch deshalb habe ich trotz der Umstände eine sehr optimistische Branche erlebt. Die Innovativen Unternehmen der Immobilienwirtschaft – viele von ihnen Proptechs – zeigen deutlich, wie viel Innovationskraft in Deutschland steckt. Das macht Mut.
Gemeinsam anpacken – schneller ans Ziel
Das habe ich auf dem Branchentreff erlebt. Ich war mit Aufzughelden vor Ort. Wir haben früh – noch vor der großen Geschwindigkeitsoffensive – das Potenzial einfach nachrüstbarer Digitaltechnik erkannt. Und wie ich sehe: Wir sind damit nicht allein. Und das ist auch gut so. Viele Lösungen, viele Ansätze und viele Ideen können dazu beitragen, den Gebäudebestand in Deutschland schnell und ohne großen Aufwand aufzurüsten. Und damit zu weniger Emissionen im Gebäudesektor führen.
Die Wärme- und Energiewende im Gebäudebereich ist eine große Herausforderung. Sie wiegt schwer. Die Dimension dieses Generationenprojekts wird immer deutlicher. Wie bei allen Großprojekten gilt auch hier: Niemand kann diese Wende allein vernünftig stemmen.
Es gibt auch nicht die eine große Lösung, die wir einfach über unseren Bestand stülpen können. Jedes Projekt ist individuell und hat seine eigenen Herausforderungen. Aber wer sich in der Branche umschaut, merkt schnell: Es gibt viele Ansätze. Viele Menschen, die sich Gedanken machen, um die Herausforderungen zu meistern. Wichtig ist, dass wir als Branche zusammenarbeiten und diese Energiewende gemeinsam stemmen. Wir können das. Und zwar schnell.
Artikel von Markus Kling, VP Engineering